Mittwoch, 25. Mai 2016
Ein Mann von fast 40 - Eine Bilanz
Ein Mann von fast 40... eine Bilanz

Ich hätte freiliegende Zahnhälse, sagte mir meine Zahnärztin vor nun etwa zwei Wochen ganz unverfroren ins Gesicht. Ich, der sich mit weit aufgesperrtem Mund auf den Praxisstuhl geparkt hatte, brav und vorbildlich meiner halbjährigen Kontrolluntersuchung nachkommend, schenkte dieser Bemerkung nicht viel mehr als ein Achselzucken des Desinteresses. Mit einem Finger in der Backentasche rechts und einem Absauger in der Backentasche links sind die Prioritäten in einer kopflastigen Schrägstellung, weiß Gott, anders verteilt. Es gäbe zwei Möglichkeiten für diesen Defekt, so Frau Doktor weiter, entweder handele es sich dabei um Putzfehler oder... nun ja, Männer in meinem Alter bekämen das dann halt mal langsam.
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Männer in meinem.... Männer in meinem was, bitte ?

Ist es also nun so weit, dass ich ein Alter habe für etwas ?
Vorbei anscheinend die Zeiten, in denen mir braungebrannte Bikinischönheiten ihre Telefonnummern zusteckten, mich zum Liebemachen auf bengalischen Tigerfellen einluden, mich, den Hengst, den Stier. Nun steckt mir wohl nur noch mein Hausarzt unter wissendem Nicken Broschüren zum Thema Prostatavoruntersuchung zu und mein Urologe steckt mir allenfalls den behandschuhten Finger in den.... aber lassen wir uns nicht zur Theatralik verleiten.

Gestern, an meinem Geburtstag, ziehe ich also Bilanz, stelle mich nackend vor den Spiegel im Wohnzimmer und blicke, die Augen nicht wie sonst auf leicht unscharf gestellt, hinein. Das nichtvorhandene Neonlicht des Bades ist ein deutlicher Pluspunkt bei dieser doch recht mutigen Kamikazeaktion. Neonlicht, das sich in jede einzelne... dann fahl erscheinende ... gräbt... Neonlicht... Georges Claude, schmore in der Hölle, du elender Hurensohn.

Zunächst einmal die rückwärtige Ansicht geprüft, denn das wahre Alter eines Mannes lässt sich an asymmetrisch hängenden Arschbacken erkennen. Dank der Vorliebe meines Fitnesstrainers für Kniebeugen droht hier jedoch keine Gefahr.

Die Vorderansicht ist auch gar nicht mal so übel. Bei richtiger Neigung des Oberkörpers während eine zeitgleiche Stilllegung der sauerstoffversorgenden Atmung stattfindet und die Bauchdecke schmerzhaft straff eingezogen wird, ist so etwas ähnliches wie ein Sixpack zu erkennen... nee, sogar ein Eightpa... vergiss es, doch nur ein Sixpack... ausgeatmet und weg.

Was auf dem Kopf seit nun zwanzig Jahren mit Abwesenheit glänzt, nimmt hingegen am Restkörper langsam unnatürliche Ausmaße an... Haar. Tägliche, halbstündige Duschen führen, bei intensiven Schabbewegungen per Rasierklinge zur stoppelfreien Körperoberfläche. Ich kratze mir das Restkranzhaar vom Kopf und das eingestreut graue Barthaar vom Kinn, glätte Schultern, Rücken und Oberarme, die kleine Kuhle unterhalb des Kehlkopfes, Finger und Fußzehen, den Bauch, bis auf die schmale Pornolinie, die immer so viel Aufsehen erregt und wahnsinnig gut ankommt, die Intraglutealfalte und das Skrotum, stutze Brusthaar, Achselhaar, Beinhaar, Armhaar, Schamhaar, flamme die Ohren, zupfe die Augenbrauen, rupfe Nasenhaar. Das alles nur, damit ich nicht aussehe wie etwas, das unsere Katze früher immer hochwürgte, nachdem sie Gras gefressen hatte.

Zwischen den Beinen baumelnd... nun ja, die Schwerkraft schlägt, trotz enganliegender australischer Herrenunterwäsche, auch hier zu. Besser gesagt sie zieht... und zwar lang. Leider nicht vorne, sondern hinten. Und somit ist die Hälfte des Oberschenkels schon als Strecke gutgemacht und es lässt sich sagen, die Glocken sind länger als das Seil.

Ich schaue mir ins Gesicht, seit Langem, sehe die Linien um die Augen, die in so vielen großartigen Momenten reingelacht worden sind, die Stirnfalten, die deutlich zu häufig zum Zuge kommen, wenn ich mir mal wieder Sorgen mache und die leichte Zornesfalte zwischen den Augenbrauen, die ich den Leuten verdanke, deren Namen bei mir auf der Liste stehen und die ganz genau wissen, wer sie sind. Die großen, ein wenig traurig abfallende Augen, die skurrile Nase, deren Spitze sich beim Sprechen bewegt, die abstehenden Ohren, durch die das Scheinwerferlicht von hinten durchscheinen kann, wodurch sie dann ganz rot glühen und mein Kopf aussieht, wie die Korona einer Mondfinsternis.

Okay, die Bilanz, ein Mann von 39 Jahren, nicht mehr und nicht weniger. Nicht der Schöne, sondern der Charakterkopf. Erfahren genug, um keine Angst mehr vor der Zukunft zu haben, seine Meinung laut auszusprechen und die Konsequenzen zu tragen. Kindlich genug, Mama und Papa um Rat zu fragen, zum Einschlafen Kassette zu hören und heimlich nachts aufzustehen, um Schokolade zu essen.
Und da ich weiß, dass Maggie Smith großartiger ist als Nicole Kidman und es auch immer sein wird, bin ich nun bereit für das letzte Jahr dieser Dekade.
Die 40 kann kommen, denn auch da werde ich weiterhin fabelhaft sein !
Weshalb ich mir da so sicher bin ?
Solange mich meine Nachbarin unentwegt per Fernglas dabei beobachtet, wie ich mich naggisch vor dem Spiegel betrachte, kann es noch nicht so schlimm sein.

Ich bedanke mich auf das herzlichste für die vielen Glückwünsche zu meinem Geburtstag.
Und falls jemand einen guten Zahnarzt empfehlen kann... ich bräuchte nämlich einen neuen, meine erkennt ja nicht einmal Putzfehler !

Mit den allerliebsten Grüßen... der Herr Kargus

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Ich wüßte da eine gute Praxis in D-Dorf, die auch professionelle Zahnreinigung anbietet (das ist so richtig etwas für den Mann ab 40). Ich lasse mir da immer minuziös erklären, was ich beim Putzen alles falsch mache, und ich sage dann, seien Sie froh, denn wenn ich alles richtig machte, wären Sie arbeitslos.

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