Donnerstag, 26. Mai 2016
Gedanken eines Sohnes, der nicht mehr zur neuesten Generation gehört
Gedanken eines Sohnes, der nicht mehr zur neuesten Generation gehört:

Heute, auf den Tag genau, an diesem 01. September 2015, feiert mein Vater seinen 65. Geburtstag.
Um ganz genau und ehrlich zu sein, feiert er ihn erst am Freitag, aber er begeht ihn heute.
Er, mein Vater, Jahrgang 1950, begeht heute seinen 65. Geburtstag!
Aber was ist mit mir, was bedeutet das für mich?
Das Verständnis von dem Begriff „Alter“, alt sein, verändert sich im Verlaufe eines Lebens. Dieses Wort, das von Natur aus etwas nicht Greifbares - ja was eigentlich? Vielleicht einen Zustand? - benennt, verändert demnach seine Bedeutung und Wertigkeit im Fortschreiten des eigenen Daseins.
Als Kind, das weiß ich noch genau, habe ich meiner Mutter mal von einer älteren Frau erzählt.
„Wie alt war sie denn?“, fragte sie daraufhin.
„Etwa 30“, war die Antwort.
Mein Einschulungsfoto zeigt meine damals dreißigjährige Mutter, demnach bereits eine ältere Frau, die ihren Sohn, inklusive seiner riesigen Schultüte, zum ersten Unterrichtstag begleitet.
Mein Kind, sofern ich denn eines hätte, wäre nun auch schon in der siebten Klasse.
Wann hat man denn bitte, ohne es zu bemerken, seine Eltern eingeholt? Und noch viel schlimmer, warum fühlt man sich dabei immer noch wie dieser kleine Schuljunge?
Inzwischen würde ich auch 65 nicht mehr als „alt“ bezeichnen, dennoch ist es schon eine Ansage, die mir in unachtsamen Momenten, in schwachen Augenblicken, im Beisein vom Gefühl der Einsamkeit, ungute Gedanken, ganz leise und zunächst unmerklich, ins Hirn flüstert, bis sie, die Grenze der Ignoranz überschritten, mit voller Wucht auf mein Bewusstsein knallen.
Manchmal, spätabends, oder auch frühmorgens, wenn das Badezimmerlicht ein wenig zu schnell den Raum erhellt, das Licht von den vergilbten Kacheln reflektiert, eine Spur zu grell auf das schon ermüdete, oder noch verquollene Gesicht trifft, bevor ich den Spiegel des Alibert gewohnheitsgemäß rasch zur Seite klappen konnte, wird es mir bewusst. Manchmal, in sorgenvollen Momenten, oder in arbeitsreichen, in stressvollen, schwierigen Zeiten, wenn ich vergesse, mir gegenüber aufmerksam zu sein, erschrecke ich bei einem Blick auf das eigene, zurückschauende Spiegelbild, vielleicht im dunklen Fenster der durch den Tunnel rauschenden U-Bahn, kurzzeitig.
Die innere Wahrnehmung, weicht von der äußeren ab und eines ist gewiss... unsere Eltern werden älter und ziehen uns, wenn auch unverschuldet, unbarmherzig mit sich.
Natürlich taten sie das schon immer, aber es dauert eine gewisse Zeit, bis es einem selbst bewusst wird.
Ich, bereits das Ende meiner Dekade in Sichtweite habend, kann mich noch genau an den 40. Geburtstag meines Vaters erinnern, der nun inzwischen in absehbarer Zeit mir selbst bevorstehen wird.
Wird das schwierig? Gute Frage. War es denn schwierig 30 zu werden? Nein, nicht wirklich. Es war schwieriger Ende 20 zu sein. Es ist eine reine Kopfsache, denn am Ende von etwas zu stehen ist erfahrungsgemäß schwieriger, als am Anfang von etwas zu sein. Demnach dürften auch keine größeren Probleme beim 40. auftreten.
Im Nachhinein eh alles nicht so schlimm.
Wo liegt also das Problem?
Problem? Das Problem? Probleme... Es sind Probleme. Es sind eigentlich genau zwei Probleme.
Erstens, man ist nicht alt. Zweitens, man ist nicht jung. Dazwischen, man ist irgendwie so dazwischen. Nicht Fisch, nicht Fleisch.
Das Tempo, in dem die Zeit vergeht, kann einem schon Furcht einflößen. Sie vergeht zwar nicht schneller, das ist pure Einbildung, aber sie vergeht dennoch stetig und man hört sich auf einmal über Dinge sprechen, die Jahrzehnte zurück liegen und dennoch ganz klar in der eigenen Erinnerung sind - Weißt du noch damals? - Schon gruselig, aber auch aufregend - ein bisschen wie Verkehrsunfall gucken.
Und darin liegt vielleicht auch der Knackpunkt beim Geburtstag meines Vaters. Die gemeinsame Strecke, die uns beiden bleiben wird, ist erwartungsgemäß kürzer, als die, die wir bereits zusammen gegangen sind und das, genau das, mag ich nicht am älter werden.
Sind wir denn wirklich schon erwachsen?
Äußerlich schon lange, aber innendrin, da sitze ich noch immer mit Oliver, Eddi, Vivianne, Nicki, Mimi, Katrin, Bärbel, Joachim und all den anderen auf den Mülltonnen, oder spiele „Räuber&Gendarm“ um vier Blocks, oder „Street Fighter 2“ bei Cola und Äpfeln.
„Wer nicht alt werden will, sollte sich jung erschießen“, sagt meine Mutter immer.
Ein wahres Wort gelassen ausgesprochen.
Was bleibt uns also zu tun, uns, die wir in einer Gesellschaft leben, in der wir vorgegaukelt bekommen, Jugend sei das größte Gut, Photoshop uns den Blick verklärt hat, die in Klammern gefasste Zahl hinter dem Namen eines Künstlers, Sportlers, eines Menschen, mehr wert ist, als seine Kunst, seine Leistung, sein Charakter, seine Erfahrung und Persönlichkeit?
Ganz einfach.
Man blicke auf die nachkommenden Generationen, beneide sie ein wenig um das straffe Hautbild und das volle Haar, belächle sie danach für ihre Angst vor dem Leben und ihren unerfahrenen Umgang mit den Widrigkeiten des Alltags, übertrumpfe sie dann mit der eigenen Überlegenheit und Großartigkeit, und lehre sie somit den gelassenen Umgang mit dem Wahnsinn des Lebens.
Es ergibt sich ein Fazit:
Siehst du, Papa, ich habe zwar noch nicht ausgelernt, stehe aber, glaube ich, ganz gut da. Und wenn dein Sohn aus den ersten Anflügen seiner Midlifecrisis heraus ist, kann uns diese Welt von gebotoxten Ewig-Endzwanzigern, mal gepflegt am Arsch lecken.
Ich wünsche dir alles Liebe zu deinem Geburtstag!

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