Montag, 23. Mai 2016
Fahrrad
*Platsch*... Da war er also... der berühmte Tropfen. Der, der das Fass zum Überlaufen bringt. Mein Leben geizt momentan nun mal nicht gerade mit seinen, ach so heiß geliebten Belastungsproben, aus denen du, so sagen es dir die Menschen auf der Sonnenseite des Daseins, gewachsen und gestärkt hervortreten sollst. Sei es drum, ich wandere nun mal zur Zeit, durch ein verdammt finsteres Tal und krame vergeblich nach einer Taschenlampe. Kein Job, keine Perspektive, kein Einkommen..... und jetzt...... auch kein Fahrrad mehr !
Man hat mir mein abgeschlossenes Fahrrad aus dem abgeschlossenen Hausflur geklaut. Aber nicht einfach das Sicherheitsschloss geknackt und mit dem Drahtesel auf und davon über alle Berge... nein.... man hat es mir im Zustand der Abgeschlossenheit geraubt. Es ist inzwischen das vierte Rad, das man in meinem Leben annektiert hat.
Als ich also dort stand und auf das Nichts blickte, der Ort, an dem mein Fahrrade hätte stehen sollen, dies aber nicht tat, passierte es.... *Platsch*...
Es ist ja schon irgendwie spannend, wie lange man auf eine leere Stelle starren kann, im Glauben, dort irgendetwas sehen zu müssen, wovon dieser Quadrant in deinem Hirn, der für das rationale Denken verantwortlich gemacht wird, dir sagt, dass es dort sein müsse.
Nachdem sich meine Augen vom diesem Nichtssehen loslösen konnten, glitt mein Blick in meine rechte Hand, auf meinen frisch verwaisten Fahrradschlüssel.
Man mag vermuten, dass es Wut war, die in mir aufstieg. Diese Bezeichnung wäre aber diesem emotionalen Super-GAU, der nun folgte, zweifelsohne nicht gerecht..... Es war Zorn. Ungezügelter, primitiver Zorn. Wir sprechen hier von Zorn, der mich laut schreiend unter Verwendung aller mir bekannter derben Schimpfworte auf die Straße hinaus trieb. Mit puterrotem Gesicht, einem Blutdruck, der Abflussrohre hätte freipusten können, spähte ich straßauf, straßab und beschimpfte an mir vorbeigehende unschuldige Passanten mit sich überschlagender Stimme und unter Einsatz von mehreren hundert Millilitern zähflüssigem Speichel an. Den für das menschliche Ohr hörbare Frequenzbereich erreichend, verlangte ich von den vom Tumult angezogenen Gaffern Personalausweise zu sehen und überlegte kurzzeitig, durch den Gebrauch der Tinte in meiner Kugelschreibermine, erste Fingerabdrücke der verdächtigen Allgemeinheit zu sichern. Ich brachte sogar einen überraschten Radfahrer zu Fall, als ich ihm gezielt meine Umhängetasche zwischen die Speichen seines Vorderrades schleuderte, um mich direkt danach auf ihn zu stürzen und ihn, unter Zuhilfenahme meines modisch graublauen Sommerschals so lange zu würgen, bis er mir unter Tränen die Rechnung über den rechtmäßigen Erwerb seines Vehikels vorlegen konnte. Schließlich ging ich dazu über, kriminell attributierte Personen mit meinem Mobiltelefon abzufotografieren, um deren Portraitbilder an die online gestellte Terroristenkartei des BKA zu senden. Erst als ich den Blick meiner Nachbarin aus der ersten Etage einfing, die mich aus ihrem Wohnzimmerfenster heraus beobachtete, mit einer Miene, die zwischen blankem Entsetzen und schierer Faszination schwankte, da ich den Fahrradschlüssel unter animalischen Gekreische zu Boden geschleudert hatte, die Hose aufgerissen und bis zu den Fußknöcheln heruntergezogen hatte und mit entblößtem Genital breitbeinig über meinem ehemaligen Fahrradschlüssel stand, bereit auf ihn drauf zu pinkeln, theatralisch begleitet mit den Worten: “Du dumme Sau, die du mir mein Rad geklaut hat, hier ist der Schlüssel für das Schloss !“, fand ich zu meiner Contenance zurück. Ich winkte meiner Nachbarin freundlich zu, wünschte ihr einen schönen Sonntag und schlenderte mit heruntergelassenem Beinkleid nonchalant des Weges.
Bedauerlicherweise hatte ich mir ausgerechnet gestern endlich einen Fahrradhelm zugelegt. Und sollte ich morgen behelmt mitten auf dem Fahrradweg durch die Maaßenstraße laufen und der gemeine Dieb kommt auf meinem Rad hinter mir klingelnd angefahren... werde ich nicht zur Seite gehen !

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Der fünfte Mann II
Formschön geschmeidig, in durchschimmerndem Schwarz, ebenmäßig glatt und fast schon sexy, schmiegen sich die Stützstrümpfe an meine männlich prallen Oberschenkel. Sowohl links, als auch rechts. Wäre ich tragender Fetischist von Damenwäsche, schnallte ich den Strapsgürtel um und fänd’ es auch ohne klimbimigen Schlitz im Kleid wunderbar.
Meine gestrige Aussage über Frau Doktor wird als erstes hiermit für null und nichtig erklärt! Natürlich nicht, was ihre fachliche Kompetenz in der Phlebologie angeht- die Frau ist gut, echt gut- sondern die Äußerung über ihr fehlendes Einfühlungsvermögen. Auch wenn man darüber gehäuft im World Wide Web lesen kann, auf Seiten, auf den Menschen Meinungen kundtun, es ist eine Lüge, diese mimösen Schreiberlinge haben doch allesamt keine Ahnung. Diese Frau gehört in die Kategorie: Nett kann ich auch, bringt aber nix.
Taff ist sie, ja, ne echte Berlinerin eben, nichts für Weicheier, klare Ansagen, preußisch geradeaus und ohne jedes Rumgeheule, aber mit Respekt und einem Hauch von Witz... ein bisschen wie Ballettunterricht, nur ohne Stange.
Gestern Morgen eilte ich schnellen Schrittes und im vollen Bewusstsein, dass es vorerst ein letztes Mal mit selbigem sein wird, zu meinem Operationstermin, als Patient Numero eins des geplanten Tagewerks.
Ankommen, hochgehen, durchgehen, Schuhe aus, Stützstrumpf rechts an, T-Shirt bleibt, Calvin Klein Unterhöschen runter, dafür Netzunterhose rauf, hinlegen und sich einen Zugang in den linken Arm legen lassen.
Der Anästhesist, der vor Wochen mit mir das Vorgespräch führte, dem ich meine Phobie vor Nadeln beichtete, der mir größte Vorsicht versprach, der nun hätte anwesend sein müssen... war es nicht. Stattdessen, ein junger Mann, zahnspangenpflichtig und, man höre und staune, Frau Doktor, die mir mütterlich über die Beine strich und sagte, dass ich das ganz toll machen würde. Man hätte es vielleicht etwas albern finden können, eventuell auch etwas beschämend, als fast vierzigjähriger Mann behandelt zu werden, als wäre man gerade gestern erst in die Grundschule gekommen, aber mir war das egal, ich brauche das in solchen Momenten, und daher blieben Tränen aus... vorerst.
Danach ging es rüber in den OP, zu Fuß, in meiner Netzunterhose und einem etwas zu kurzen T-Shirt, das auch nach etlichem Ziehen und Zerren eines bleibt, nämlich zu kurz. Zu kurz und nun auch noch außer Form.
Die Penistragerichtung wird dadurch zur öffentlichen Sache und will überlegt sein. Klappe ich ihn hoch, wird ein Piercing sichtbar, welches sich unschön und schmerzhaft in den reinweißen Maschen verheddern könnte. Nach links oder rechts klappen bleibt ein aussichtsloses Unterfangen, wenn der Schlüpper gefühlte sechs Nummern zu groß ist. Was bleibt ?
Baumeln lassen. Klatsch, klatsch, zuppel an Hemd, schwing, klatsch, zuppel, Tisch erreicht, Narkoseinfussion dran, man soll nun langsam müde werden, man wird es noch schneller als gedac...
Dann wird man wieder wach und das Bein ist gewickelt. Straff. Sogar sehr straff. Und dann darf man gehen... Moment, bitte! Ein Plastikbeutel wird überreicht, darin drei Schmerztabletten, jeden Tag eine, um 14 Uhr und... drei Spritzen mit Heparin, jeden Tag eine, um 14 Uhr. Nee, oder?!
Die Klinik verlasse ich in einer Jogginghose, weil mein Bein in keine meiner richtigen Hosen mehr hineinpasst. „Bringen sie etwas Weites von sich mit“, hatten sie gesagt. Als hätte ich etwas Weites! Mit Jogginghose auf dem Ku’damm, humpelnd, obendrauf das durchschwitzte, verzerrte Shirt und eine Sonnenbrille im bewölkten, noch immer morgendlichen Berlin.. Wenn man schon die Kontrolle über sein Leben verliert, dann zumindest mit einem Hauch von Stil.
Es ist 14 Uhr. Also Spritze gezückt, das Bauchfett gefaltet, das im Grunde nicht vorhandene, nur mal so angemerkt, desinfiziert, ausgeholt und... Nein, Dominik soll das lieber machen, aber vorher noch einmal desinfizieren. Er setzt an... Halt! Ich mache das doch besser selbst. Es wird 14.10 Uhr. Ich desinfiziere, falte, und desinfiziere lieber noch einmal... Nein, Dominik muss das doch machen. Desinfizierung, Konzentration, Schwung holen, Abbruch. 14.30 Uhr. Tränen der Verzweiflung und der Scham steigen in die Augen. Wenn keine Spritze, dann auch keine Schmerztablette, da bin ich rigoros... Okay, okay, jetzt desinfiziert Dominik, der dafür vorhergesehene Lappen, inzwischen furztrocken... Nein, nein, Dominik muss den Raum... er muss den Raum verlassen, ich muss das selbst machen, sitzend... liegend... sitzend... besser stehend, einatmend beim Einstich. Ein Plan, ich desinfiziere, ich atme ein, ich steche nicht. Der Arm senkt sich nicht ab. Es ist bereits 14.40 Uhr. Da! Eine Kurzschlußhandlung. Ich hole aus und steche zu... weder geatmet, noch desinfiziert !
Heute wurde der Verband abgenommen und ich muss nur noch den Stützstrumpf tragen. Ein erster Blick auf das Bein, weiß Gott, ein Fehler, offenbart die unschöne Wahrheit in grün und blau: Sechs Schnitte. Einer am Knöchel, einer in der Leiste, drei auf der Wade, einer unterhalb davon.
Duschen darf ich erst morgen. Sich am Waschbecken zu waschen, wenn man das überhaupt so nennen kann, ist irgendwie retro. Ich trage noch immer die Jogginghose, aber zumindest ein frisches T-Shirt und eine blickdichte Unterhose.
Die Ärztin hat mich gefragt, wer mir denn die Spritze gegeben hätte?
„Na, ich selbst !“
Das wäre ziemlich beeindruckend, denn das könnten nicht so viele Leute auf Anhieb.
„Ich weiß, bin halt eine knallharte Type.“
... zumindest immer bis 13.59 Uhr.

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Der fünfte Mann
Eine Studie hat ergeben... oder eine Statistik besagt... letztendlich auch völlig egal, denn in beiden Fällen geht der Satz mit „dass“ weiter, dass jeder fünfte Mann unter Krampfadern, sogenannten Varizen, leidet.
Ich bin also ein fünfter Mann.
Der Erste bekommt meistens einen Pokal, der Zweite die abgegriffene Frau mit Kind aus erster Ehe, der Dritte eine eingängige gezitterte Melodie, der Vierte ist undankbar und der Fünfte? Der Fünfte also Krampfadern.
Und nun wird gestrippt. Ein schwungvoll, erotischer Ausdruckstanz, bei dem sämtliche Hüllen fallen, muss herhalten, für einen barbarisch anmutenden Eingriff, der nun auch bei mir durchgeführt werden wird, werden muss.
Morgen früh. Hergottsfrüh. Früh genug, dass ich mir mit dem rollenden Berufsverkehr den U-Bahn Waggon teilen muss, stehend, damit das Blut auch ja in die ohnehin defekten Leitungen absacken kann, die bevorstehende Sauerei eine noch größere wird.
Meine Ärztin, der ich vor vier Wochen erstmals mit bis zu den Knöcheln heruntergelassener Hose begegnen durfte, eine bizarre Situation, die nun wirklich nicht häufig in meinem bisherigen Leben vorkam, also mit Frauen, hat die Empathie eines gammelnden Fischbrötchens... Es sähe schlimm aus, selten würde man junge Männer mit so muskulösen Beinen, also Männer generell ja kaum, und dann noch in dem Alter, wie alt eigentlich genau, echt schon extrem, da müsse schnellstens was gemacht, ach, so jung dann auch gar nicht mehr...
Aber fachlich, angeblich, sehr kompetent. Also, die Ärztin.
Heute Morgen war der Vorbereitungstermin.
Ich musste mir natürlich das Bein rasieren, das linke, und die halbe Scham. Also bitte, wer rasiert sich denn nur den halben Schambereich? Als würde man den ausgerollten Gartenschlauch auf der nur halbgemähten Wiese liegen lassen. Was sollen denn da die Nachbarn denken?
Sie war von der seidenweichen Glätte meiner Wade unleugbar beeindruckt. Nicht ein Härchen, damit hätten Männer immer Probleme, weil sie in der Kunst der Beinrasur doch eher ungeübt seien. Nach zwei Produktionen von „La Cage“, einer zwölfjährigen „Cabaret“-Routine und der Körperbehaarung einer vom aussterben bedrohten Primatenrasse, bleibt nur eines zu sagen: Lachhaft!
Nach nur wenigen Augenblicken und einigen kunstvoll ausgeführten Schwüngen mit dem Edding 800, glich mein Bein der Berliner Straßenkarte... in blau. Wild eingezeichnete Striche, Punkte und Linien, ein Kreuz soll den Ort in der Leiste markieren, an dem die „Vena saphena magna“ dann herausgezogen werden soll, nachdem sie am Fußknöchel gekappt worden ist.
Klingt brutal und irgendwie blutig.... es ist brutal und irgendwie blutig.
Das Kreuz ist allerdings nicht mal in der Nähe meiner Leiste, vielmehr fast mittig meines Oberschenkels... aber sie wird schon wissen, was sie da tut.
Ist ja kompetent... sagt man... angeblich.... also, die Ärztin.
Auf meine Bitte hin, den Schnitt doch möglichst klein zu halten, da meine Leiste mehr Menschen zu Gesicht bekämen, als sie es sich vermutlich vorstellen könne, reagierte sie mit nervösen Mundwinkelzuckungen. Offen ausgestellte Frivolität steht zweifelsohne nicht im Lehrplan der medizinischen Fakultäten Deutschlands. Schade eigentlich.
Interessanterweise jedoch sagt mir jeder Mann, dem ich von diesem Eingriff erzähle - und es waren bereits unfassbar viele, die es sich anhören mussten, gewollt oder auch nicht - dass er selbst auch Probleme mit Krampfadern hätte.
Demnach scheint die Statistik doch nicht wirklich repräsentativ zu sein und es gibt mehr fünfte Männer als man zunächst glauben mag.
Und wenn ich morgen aus der Vollnarkose erwache, ohne die mein bisheriges Leben lang mich begleitende Vene, hoffe ich, dass ich zumindest in Zukunft das Bein höher schmeißen kann und sich die drei Wochen in neckischen Thrombosestrümpfen lohnen werden... Denn wie Herr Spielberg schon in den 80ern zu berichten wusste: Nr.5 lebt !

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Steuerbescheid
„Schreib mal wieder“ war einst ein bekannter Werbeslogan der deutschen Post, man erinnert sich. In Zeiten von E-Mail, SMS und Facebook eher eine traurige Erinnerung ... Ganze Sätze aus Tinte auf Blatt Papier. Seit Einzug des elektronisierten Schriftverkehrs, mutierte der Briefkasten daher zu einer Begegnungsstätte der überraschenden Frustration. Warum ?! Nun ja, abgesehen von den beiden jährlich eintreffenden Ansichtskarten, verglühende Sonne an beozeantem Horizont, des aktuellen IKEA Katalogs und der Werbung vom Billig-Thai-Imbiss an der Ecke, erwartet einen nur noch kontodezimierende Korrespondenz in Form von Rechnung und Mahnung hinter dem kleinen, an Adventskalender anmutenden Türchen.
Die Tagesplanung sieht einen Einkauf der notwendigsten Lebensmittel, einen Zwischenstopp für Kaffee und Kuchen, sowie einen Besuch meines Fitness-Studios vor ... Also, Tasche über die Schulter geschwungen, freudig treppab geeilt, schnell noch in den Briefkasten geschaut ... Ein Fehler !
Der große Umschlag, beschriftet mit dem Namen meiner Steuerberaterin, lässt, reflexartig, meine Magenwandmuskulatur spürbar schmerzhaft kontrahieren... Betreff: Steuer 2011 (leichtes Herzrasen) Gegenstand: Steuernachzahlung (überproportionale Schweißbildung auf Stirn und Oberlippe)Betrag: 7.248,- EUR (spontanes Erbrechen) Dummerweise in den Briefkastenschlitz der Familie Özer aus der ersten Etage. Egal, die kann ich eh nicht leiden, der Sohn grüßt mich nicht einmal im Treppenhaus.
Kurzes überprüfen meiner Sehtüchtigkeit, zweiter Blick auf die eben gelesene Summe ... kein Zweifel, Verwechslung ausgeschlossen, ich bin soeben verarmt worden !
Spannend, sofort beginnt das Hirn verschiedenste Strategien zur Finanznotsituationsregulierung zu entwickeln ... Unbrauchbar, gar schambar lächerlich !
Zugegeben, eine blöde Idee, mich der Backwarenverkäuferin (Typ: stark verblühte Schützenkönigin, wild glänzendes Make-up, gut zwei Nuancen zu dunkel, Haartönung Marke verblassender Ansatz in Aubergine, Frühschoppenbesucherin), als Lustknabe anzubieten ... Prostitution für eine lächerliche Baguettestange ist nun wirklich keine akzeptable Lösung. Also verpacke ich meinen Genitalbereich wieder, den ich zu Werbezwecken großzügig vor den ranzigen Puddingteilchen entblößt hatte, und verlasse, ohne Brot und unter den verstörten Blicken der restlichen Kundschaft, den Laden.
Ein kurzer Anruf bei meinen Eltern, einfach um ein paar beruhigende Worte zu hören, man braucht das. „Das letzte Hemd hat keine Taschen !“, lautet der Kommentar meiner Mutter. Bitte, das soll alles sein ? Ich lege auf.
Dennoch starte ich einen Blindversuch an der Supermarktkasse. Salat, Paprika, Tüte Milch, Tafel Schokolade, gerade im Angebot und das verpasste Brot ... 4,78 EUR ... Ich:„Das letzte Hemd hat keine Taschen !“ (hingebungsvoll gütig lächelnd, wichtig) ... eisiges Schweigen von Seiten der Kassiererin ... 4,78 EUR stehen weiterhin im Raum ... Ich wiederhole mich (hingebungsvoller gütig lächelnd, weiterhin wichtig) ... „Ick wees ja nischt, wat ihnen im Hirn quer geht , aber entweder se zahlen jetzt, oder se machen, dat se Land jewinnen !“
In meinem Stammcafé treffe ich auf Klaus, obdachlos, das Straßenmagazin „Motz“ verkaufend. Ob er eventuell einen Assistenten auf 450,- EUR Basis gebrauchen könnte ? ... Pardon, pardon, man wird ja wohl mal fragen dürfen !?
Im Sportstudio angekommen klage ich jedem und wirklich ausnahmslos jedem, ob hörwillig oder nicht, ist mir in diesem Fall unvorstellbar egal, mein bevorstehendes Leid. Von Natur aus werden Menschen unter 80 kg schweren Kurzhantel nun mal eher fluchtträge. Aus der überaus gerechtfertigten Überlegung, daß ich mir die Fitness in nahender Zukunft aus Gründen der Budgetknappheit nicht mehr werde leisten können, nehme ich an jedem einzelnen Trainingskurs des Abends teil ... Bauch-Beine-Po, Body Transformer, Yoga, Spinning I, Spinning II, Step Aerobic und Zumba. Es verwundert daher wenig, daß der Verbrauch von 5727 Kalorien eine klare Bewusstseinsfokusierung in dem darauffolgenden Dampfsaunaaufenthalt schlichtweg unmöglich macht. Ein mehr als unangenehmer Moment, sich nach kurzer Ohnmacht erwachend, mit blankem Hintern auf kalter Steinfliese wiederzufinden.
Etwas derangiert an unserer Haustüre ankommend, treffe ich den Sohn der Familie Özer vor dem Briefkasten an. „Guten Abend !“, meinerseits ... Stille Ignoranz seinerseits. „Sie haben Post !“

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Supermarkt
Nun gut, wir leben in Zeiten eines stetig wachsenden Desinteresses an unseren Mitindividuen . Anonymität schafft sterile Konfliktfreiheit... Wunderbar ! Wir holen unser Bargeld aus dem Bankautomaten und kommen somit nicht in den Genuss des kleinen Plauschs mit Herrn Rüster vom Kassenschalter. Wir buchen den Flug nach Wien im Internet und lernen daher niemals Frau Bressler aus dem Reisebüro kennen. Wir bestellen unsere Literatur bei Amazon.de und waren daher noch nie in der Buchhandlung von Fräulein Menzel neben dem Blumenladen in der Querstraße nach der Ampel. Wir können auch die Nachbarn in unserem Haus nicht namentlich zuordnen, haben weder die erste, noch die zweite Schwangerschaft von der komischen Trulla im Erdgeschoß mitbekommen geschweige denn den Tod von der etwas streng riechenden Oma von gegenüber, die mit den vielen Katzen in Ihrer Wohnung.
Aber es gibt einen Ort innerhalb der Grenzen dieses Landes, an dem Anonymität und Distanz zu einhundert Prozent nicht existieren, nie existiert haben und auch nie existieren werden... Niemals... Die Supermarktkasse an einem Samstagabend !
Ich stehe also am heutigen Samstag gegen 19.30 Uhr im Supermarkt meines Vertrauens, der Kaiser's am Nollendorfplatz, an der Kasse... eher gesagt, in Sichtweite. Es ist ein selbsterwähltes Schicksal, dem man mit etwas Organisationstalent und Disziplin durchaus hätte entgehen können. In einer scharfsinnigeren Vergangenheit hatte man zwar fünf Zahlstationen konstruiert, war sich jedoch völlig im Klaren, daß davon nur maximal zwei gleichzeitig geöffnet sein werden. Die Warteschlangen der Kundenkönige und Königinnen erreichen somit zweistellige Metermaße. Man darf sich aber, weil die Demokratie auch hier nicht außer Kraft gesetzt ist, entscheiden zwischen der Reihe, die sich an den Süßwaren und Spirituosen vorbeischlängelt, und derjenigen, in der man sich durch Haushaltsreiniger und Tiernahrung durchwarten muß. Ich entscheide mich für Variante eins... Ein Fehler ! Die neue Aushilfe, höchstens 13, mit der spannenden Kombination aus Eiterakne und Piercingkunst im Antlitz und dem Intelligenzquotienten eines Laugenbrötchens, wird in diesen durchaus harmonischen Geschäftsstunden geprägt auf seine Zukunft im Einzelhandel.
Nun sind die Kassen bei Kaiser's von einem bestimmt ansonsten überaus fähigen Architekten so eng konzipiert worden, daß Menschen mit einem Bodymassindex von über 17 akute Atemnot und klaustrophobische Panikattacken erleiden werden müssen. In diesen Momenten hilft nur eines, nämlich der Blick nach vorn.... nach vorne zum Warenfließband, denn dahinter liegen die zwei "F's"... Freiheit und Frischluft !
Als ich nach etwa vierundvierzig Minuten das Band erreichen kann, mit blutigen Achillessehnen, da mir mein Hintermann ununterbrochen seinen Einkaufswagen in die Haxen rammt.... weil es natürlich so schneller gehen wird, wenn ich blutüberströmt zusammenbreche, die Ambulanz erwarte, die mir ein Erythrozytenkonzentrat anhängen wird, damit ich meine Dose Zuckermais, die ich auch nicht nur eine Sekunde habe fallen lasse, bezahlen kann...lege ich mein sorgsam auserwähltes Artikelsammelsurium auf das Band. Ordentlich, man möchte es ja nett haben und in einer ausgeklügelten Reihenfolge, damit es beim Einpacken nicht zu unerwünschten Quetschmakeln kommen kann.
Kaum liegt dieser kleine keimübersäte Trennbalken hinter meinen 2,99 Euro teuren Bio-Eiern, wird mein Sortiment von hinten nach vorne, mit einem Ruck, zu einem 1,40 Meter hohen Berg aufgetürmt. Verursacher ist der ältere Mann hinter mir, den ich nun sehen kann, da ein Umdrehen in der Vor-Der-Kasse-Todeszone vorher unmöglich war. Sein Ziel vor Augen, die gewonnen acht Zentimeter auf dem Band mit möglichst vielen Waren zu bedecken, werde ich gnadenlos in meine Vorkundin gedrängt. Die Grenze zwischen Unverschämtheit und sexueller Belästigung ist in diesem Augenblick nicht mehr klar zu ziehen. Nachdem die Frau eine Unendlichkeit in ihrer aus allen Nähten platzenden Handtasche nach ihrem Portemonnaie gesucht hat, da es eine unerwartete Überraschung an der Kasse ist, bezahlen zu müssen, bin ich mit dem Austausch von Zahlungsmitteln an der Reihe.
Beim Zücken meiner Geldbörse steht mir mein Rücknachbar so nah, daß ich kurzzeitig zum Überlegen gezwungen bin, ob es nun meine Verpflichtung ist, aus gastgeberischer Höflichkeit, meine mitgeführten Familienphotographien zu zeigen: "Vor dem Brandenburger Tor, meine Eltern, mein Freund am Strand in Portugal..."
Beim Rausgehen wünscht mir die Frau vor dem Eingang, die dort immer die Obdachlosenzeitung verkauft, einen schönen Abend. Also bitte, soviel Nähe und Intimität... das ist ja unzeitgemäß !

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Extravaganz durch Dehydration
Deutschland ist gespalten. Gespalten in zwei Lager. Zwei Lager, deren Unbedeutsamkeit kaum unbedeutsamer sein könnte, erwähnungsunwürdig gar, dennoch bitte nicht mit Ignoranz zu strafen.
Der Gegenstand des Disputs... aber fangen wir besser etwas weiter vorne an.
Als ich vor einigen Tagen meine Blicke über die Kuchenauslage des Cafés meines Vertrauens schweifen ließ, eine kleine, wohl runtertemperierte Glasvitrine auf Augenhöhe, angefüllt mit hochkalorischem Backwerk sowie kleinen Pappaufstellern in dunkelgelb, die dem wahrlich überreizten Sehnerv, nervus opticus, über den visuellen Eindruck hinweghelfen sollen, wurde es mir gewahr. Präzisionsinformation in Schriftform, wenn auch leicht unleserlich durch unkoordinierte und lustlose Fingerfertigkeit.
Deklaration und ausgestelltes Produkt weichen, wenn auch nicht grob, aber en détail voneinander ab. „Erdbeerkuchen“ .... okay, Erdbeerkuchen, da gibt es nun wirklich nicht viel dazu zu sagen. „Schokoladenkuchen“... schon klar. Allerdings mit Kirschen, diese jedoch mit keinem Filzstiftstrich erwähnt. „New York Cheesecake“... trotz eines Potpourris an Fruchtbelag, anscheinend kaum der Rede wert. „Omas Landkuchen“ ... also bitteschön, was soll man denn mit dieser Information anfangen ? Augenscheinlich ein Streuselkuchen, der Hesse spricht hierbei von Krümmelkuche’, mit einer Obstart, die durch den Vorgang des Backens jegliche Offensichtlichkeit hat einbüßen müssen. 60 Minuten bei 180 C° in geschlossenen Backöfen, lassen unleugbar den Phänotyp einer Steinfrucht oder Beere nicht unbeeindruckt. Da uns auch die angeführte Oma nicht näher bekannt ist, kann man von deren Seite her keine sachdienlichen Hinweise erwarten. Schade aber auch. „Käsekuchen mit Rosinen“ ... eine Quarktorte die ... Stopp, nicht ganz so schnell. Hier müssen wir, weiß Gott, kurz innehalten. Warum ? Ein Fehler im System, die bisherige Struktur wurde durchbrochen, die Matrix verlassen. Hier scheint etwas aufgetreten zu sein, vor dem der deutsche Kuchen- und Tortenkonsument mit Patisserieabusus gewarnt, wenn nicht sogar geschützt werden müsste, späteren Schadensersatzklagen entgegenwirkend.
Rosinen ! Die Rede ist von ... Rosinen !
Es dürfte allgemein bekannt sein, dass es sich bei Rosinen um getrocknete Weinbeeren, auch bekannt unter dem Namen Trauben, handelt, und darin, genau darin, verbirgt sich die gesamte Faszination. Keine andere Frucht, außer jener Traube, bekommt im dehydrierten Aggregatzustand einen gänzlich neuen Namen verpasst. Während der schnöde Rest des mehr oder minder aufsehenerregenden Obstes gerade mal das Präfix „Trocken“, wenn nicht gar „Dörr“, wie respektlos und degradierend, wie sich die Dörrpflaume denken wird, deren Nennung allein den Projektor des Kopfkinos anlaufen lässt, vorgestellt bekommt, wird aus der Traube, die Rosine. Großartig, ein wenig extravagant sogar, dennoch alle Hochachtung an dieser Stelle ! Keine Sprache von Dörrtraube oder Trockenweinbeere. Somit teilt sie wohl unbestreitbar das standesamtliche Mädchennamenverlust-Los von Millionen an Bräuten. Möchte man hier nun Bräute mit Trauben, Ehefrauen mit Rosinen vergleichen ? Wohl kaum. Erst pralle Frucht, dann schrumpeliges Dörrobst ? Niemals. Im besten Falle ein Denkansatz.
Eines steht zumindest fest, dieses Land ist gespalten in die Lager von Rosinenhasser und, es wäre wohl ein zu großes Wort von Liebe zu sprechen, also einigen wir uns auf Rosinenmöger. Rosinenhasser und Rosinenmöger. Abstufungen sind in dieser Geschmacksfrage bisher unbekannt, schwer denkbar, denn egal ob Sultanine oder Korinthe, letztere bekannt durch gleichnamigen Kacker, Rosinen sind sie doch alle.
Demnach bleiben noch zwei Fragen offen. Weshalb erzählen einem Individuen mit Rosinenaversion immer, und zwar ungefragt und bar jedes Interesses: „Ich hasse Rosinen, esse aber Trauben. Du musst mir jetzt nicht sagen, dass Rosinen getrocknete Trauben sind, ich weiß das auch.“ ? Keine Bange, hätte ich nicht gesagt. Warum auch ? Man glaubt es ja kaum, wie schnurzpiepegal es mir ist, ob jemand Rosinen isst oder eben nicht.
Die zweite Frage, die noch im Raum steht, welchen Kuchen ich denn nun genommen habe ?
Da mich diese Antwort unweigerlich als Rosinenhasser oder Rosinenmöger demaskieren würde, bleibe ich sie wohl aus Gründen der Solidarität besser schuldig.

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Die eigenen Ängste
Gestern Abend, ich bin damit beschäftigt die Wäsche vom Wäscheständer zu nehmen, wandert mein Blick hinüber zum Schreibtisch, dorthin, wo der Kalender steht, eher beiläufig, halte dennoch inne, schaue, rechne nach, schaue noch einmal und mache mir bewusst, daß ich nun bereits seit neun Monaten arbeitslos bin.
Kein Engagement, keine Angebote, keine staatliche Unterstützung ... dafür Auditions, Absagen und überschaubares Sparvermögen.
Neun Monate ! Eine Zeit, in der andere Leute Kinder austragen.
Ein unerklärbares Phänomen ist es, dass, wenn die Sonne untergeht und der Tag stirbt, er immer ein kleines Stück von dir mitnimmt. Und dieses kleine Stück beinhaltet den Schlüssel für diese kleine Schublade, in der deine Hoffnungen, Träume, deine Stärke, dein Mut und deine Selbstachtung drin verborgen liegen ... Und in diesem Moment der Schwäche und Unachtsamkeit kommen sie raus. Raus aus all ihren Schlupfwinkeln und Verstecken, in denen sie den ganzen Tag über vor sich hin gekauert haben, wissend, dass du zu einem leichten Opfer, einer gefundenen Beute wirst..... Die eigenen Ängste ! Nicht wirklich überraschend, wenn man darüber nachdenkt. Die meisten von ihnen kennst du bereits, einige sind zum ersten Mal dabei, manche kommen schon gar nicht mehr, andere waren bisher nur hin und wieder mal da. Sie fangen lauthals an, in deinem Kopf zu dröhnen, so dass es dir unmöglich erscheint, einen klaren Gedanken zwischen den Synapsen hin und her springen zu lassen, darauf aus, dich in den Wahnsinn treiben zu können ... Darauf darf man sich bloß nicht einlassen. Ich glaube, ihr spinnt !
Eine Bekannte meiner Mutter fragte mich neulich, wie es mir denn ginge, so arbeitslos und ohne Perspektive, ob mich keine Existenzängste plagen würden ? Auf solche Fragen gäbe es, wenn man ehrlich sein wollte und das neunte Gebot achtend, nur eine richtige Antwort:
„Nein ! .... du blöde Kuh ... es geht mir total gut dabei, keine Arbeit zu haben und von meinen Ersparnissen leben zu dürfen, die rapide auf den absoluten Tiefstand zusteuern, so dass ich mir schon mal vorsorglich einen IKEA-Karton besorgt habe, um demnächst sorglos und wohlgemut unter die Brücke am Gleisdreieck umsiedeln zu können .... Auch darf ich jetzt meine Krankenversicherung aus eigener Tasche bezahlen ... Juchhu ... das Dumme ist nur, ich bin völlig gesund. Also rausgeschmissenes Geld ! ... Es ist übrigens auch wahnsinnig aufbauend, wenn ich die persönlichen Berufshöhepunkte meiner Kollegen, sofern ich sie überhaupt noch so nennen kann, bei Facebook lesen darf, so dass ich ihnen dann immer sogleich kleine, lustige Postkärtchen schicken möchte, auf denen ich ihnen Genitalherpes an den Hals wünsche, weil ich so unsagbar eifersüchtig bin und ich jetzt genau sie partout dafür schuldig mache, dass meine Karriere einem nuklearen Winter gleicht .... Ich genieße es auch jeden Tag, nach friedlichem Schlaf und erholsamen Panikträumen, aufzuwachen und nach einem Grund suchen zu dürfen, warum ich mich überhaupt anziehen sollte, geschweige denn zu einer frischen Unterhose zu greifen, weil die Highlights des Tages voraussichtlich eh das Wischen des Badezimmerfußbodens und das Umtopfen der Yucca Palme sein dürften. Auch darf man die Freuden nicht unterschätzen, die einem die treuen Selbstzweifel bereiten, wenn man sich bei der täglichen Zahnhygiene im Spiegel gegenübersteht und den Grund seiner Misere darin wissend erahnt, daß die anderen dann eben doch talentierter, jünger, besser, beliebter und schöner sind als man selbst und man sich fragt, warum um alles in der Welt man sich lieb haben sollte, obwohl man selbst nach acht Stunden Schlaf aussieht wie das zerknautschte Frotteehandtuch im Wäschekorb ? .... Also, du Dumpftrulla, du möchtest wissen, wie es mir geht ? ... Es geht mir Scheiße !“
Diese Antwort, die der Wahrheit sehr Nahe käme, verlässt aber niemals die Lippen eines professionellen Darstellers.
Nein, stattdessen schenke ich ihr ein sanftes, ehrliches Lächeln: „Das gehört nun mal zu dem Beruf, meine Zeit wird noch kommen. Das wird auch wieder bergauf gehen, das weiß ich.“
...
..
Hoffe ich !

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