Montag, 23. Mai 2016
Fahrrad
*Platsch*... Da war er also... der berühmte Tropfen. Der, der das Fass zum Überlaufen bringt. Mein Leben geizt momentan nun mal nicht gerade mit seinen, ach so heiß geliebten Belastungsproben, aus denen du, so sagen es dir die Menschen auf der Sonnenseite des Daseins, gewachsen und gestärkt hervortreten sollst. Sei es drum, ich wandere nun mal zur Zeit, durch ein verdammt finsteres Tal und krame vergeblich nach einer Taschenlampe. Kein Job, keine Perspektive, kein Einkommen..... und jetzt...... auch kein Fahrrad mehr !
Man hat mir mein abgeschlossenes Fahrrad aus dem abgeschlossenen Hausflur geklaut. Aber nicht einfach das Sicherheitsschloss geknackt und mit dem Drahtesel auf und davon über alle Berge... nein.... man hat es mir im Zustand der Abgeschlossenheit geraubt. Es ist inzwischen das vierte Rad, das man in meinem Leben annektiert hat.
Als ich also dort stand und auf das Nichts blickte, der Ort, an dem mein Fahrrade hätte stehen sollen, dies aber nicht tat, passierte es.... *Platsch*...
Es ist ja schon irgendwie spannend, wie lange man auf eine leere Stelle starren kann, im Glauben, dort irgendetwas sehen zu müssen, wovon dieser Quadrant in deinem Hirn, der für das rationale Denken verantwortlich gemacht wird, dir sagt, dass es dort sein müsse.
Nachdem sich meine Augen vom diesem Nichtssehen loslösen konnten, glitt mein Blick in meine rechte Hand, auf meinen frisch verwaisten Fahrradschlüssel.
Man mag vermuten, dass es Wut war, die in mir aufstieg. Diese Bezeichnung wäre aber diesem emotionalen Super-GAU, der nun folgte, zweifelsohne nicht gerecht..... Es war Zorn. Ungezügelter, primitiver Zorn. Wir sprechen hier von Zorn, der mich laut schreiend unter Verwendung aller mir bekannter derben Schimpfworte auf die Straße hinaus trieb. Mit puterrotem Gesicht, einem Blutdruck, der Abflussrohre hätte freipusten können, spähte ich straßauf, straßab und beschimpfte an mir vorbeigehende unschuldige Passanten mit sich überschlagender Stimme und unter Einsatz von mehreren hundert Millilitern zähflüssigem Speichel an. Den für das menschliche Ohr hörbare Frequenzbereich erreichend, verlangte ich von den vom Tumult angezogenen Gaffern Personalausweise zu sehen und überlegte kurzzeitig, durch den Gebrauch der Tinte in meiner Kugelschreibermine, erste Fingerabdrücke der verdächtigen Allgemeinheit zu sichern. Ich brachte sogar einen überraschten Radfahrer zu Fall, als ich ihm gezielt meine Umhängetasche zwischen die Speichen seines Vorderrades schleuderte, um mich direkt danach auf ihn zu stürzen und ihn, unter Zuhilfenahme meines modisch graublauen Sommerschals so lange zu würgen, bis er mir unter Tränen die Rechnung über den rechtmäßigen Erwerb seines Vehikels vorlegen konnte. Schließlich ging ich dazu über, kriminell attributierte Personen mit meinem Mobiltelefon abzufotografieren, um deren Portraitbilder an die online gestellte Terroristenkartei des BKA zu senden. Erst als ich den Blick meiner Nachbarin aus der ersten Etage einfing, die mich aus ihrem Wohnzimmerfenster heraus beobachtete, mit einer Miene, die zwischen blankem Entsetzen und schierer Faszination schwankte, da ich den Fahrradschlüssel unter animalischen Gekreische zu Boden geschleudert hatte, die Hose aufgerissen und bis zu den Fußknöcheln heruntergezogen hatte und mit entblößtem Genital breitbeinig über meinem ehemaligen Fahrradschlüssel stand, bereit auf ihn drauf zu pinkeln, theatralisch begleitet mit den Worten: “Du dumme Sau, die du mir mein Rad geklaut hat, hier ist der Schlüssel für das Schloss !“, fand ich zu meiner Contenance zurück. Ich winkte meiner Nachbarin freundlich zu, wünschte ihr einen schönen Sonntag und schlenderte mit heruntergelassenem Beinkleid nonchalant des Weges.
Bedauerlicherweise hatte ich mir ausgerechnet gestern endlich einen Fahrradhelm zugelegt. Und sollte ich morgen behelmt mitten auf dem Fahrradweg durch die Maaßenstraße laufen und der gemeine Dieb kommt auf meinem Rad hinter mir klingelnd angefahren... werde ich nicht zur Seite gehen !

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