Montag, 23. Mai 2016
Der fünfte Mann II
Formschön geschmeidig, in durchschimmerndem Schwarz, ebenmäßig glatt und fast schon sexy, schmiegen sich die Stützstrümpfe an meine männlich prallen Oberschenkel. Sowohl links, als auch rechts. Wäre ich tragender Fetischist von Damenwäsche, schnallte ich den Strapsgürtel um und fänd’ es auch ohne klimbimigen Schlitz im Kleid wunderbar.
Meine gestrige Aussage über Frau Doktor wird als erstes hiermit für null und nichtig erklärt! Natürlich nicht, was ihre fachliche Kompetenz in der Phlebologie angeht- die Frau ist gut, echt gut- sondern die Äußerung über ihr fehlendes Einfühlungsvermögen. Auch wenn man darüber gehäuft im World Wide Web lesen kann, auf Seiten, auf den Menschen Meinungen kundtun, es ist eine Lüge, diese mimösen Schreiberlinge haben doch allesamt keine Ahnung. Diese Frau gehört in die Kategorie: Nett kann ich auch, bringt aber nix.
Taff ist sie, ja, ne echte Berlinerin eben, nichts für Weicheier, klare Ansagen, preußisch geradeaus und ohne jedes Rumgeheule, aber mit Respekt und einem Hauch von Witz... ein bisschen wie Ballettunterricht, nur ohne Stange.
Gestern Morgen eilte ich schnellen Schrittes und im vollen Bewusstsein, dass es vorerst ein letztes Mal mit selbigem sein wird, zu meinem Operationstermin, als Patient Numero eins des geplanten Tagewerks.
Ankommen, hochgehen, durchgehen, Schuhe aus, Stützstrumpf rechts an, T-Shirt bleibt, Calvin Klein Unterhöschen runter, dafür Netzunterhose rauf, hinlegen und sich einen Zugang in den linken Arm legen lassen.
Der Anästhesist, der vor Wochen mit mir das Vorgespräch führte, dem ich meine Phobie vor Nadeln beichtete, der mir größte Vorsicht versprach, der nun hätte anwesend sein müssen... war es nicht. Stattdessen, ein junger Mann, zahnspangenpflichtig und, man höre und staune, Frau Doktor, die mir mütterlich über die Beine strich und sagte, dass ich das ganz toll machen würde. Man hätte es vielleicht etwas albern finden können, eventuell auch etwas beschämend, als fast vierzigjähriger Mann behandelt zu werden, als wäre man gerade gestern erst in die Grundschule gekommen, aber mir war das egal, ich brauche das in solchen Momenten, und daher blieben Tränen aus... vorerst.
Danach ging es rüber in den OP, zu Fuß, in meiner Netzunterhose und einem etwas zu kurzen T-Shirt, das auch nach etlichem Ziehen und Zerren eines bleibt, nämlich zu kurz. Zu kurz und nun auch noch außer Form.
Die Penistragerichtung wird dadurch zur öffentlichen Sache und will überlegt sein. Klappe ich ihn hoch, wird ein Piercing sichtbar, welches sich unschön und schmerzhaft in den reinweißen Maschen verheddern könnte. Nach links oder rechts klappen bleibt ein aussichtsloses Unterfangen, wenn der Schlüpper gefühlte sechs Nummern zu groß ist. Was bleibt ?
Baumeln lassen. Klatsch, klatsch, zuppel an Hemd, schwing, klatsch, zuppel, Tisch erreicht, Narkoseinfussion dran, man soll nun langsam müde werden, man wird es noch schneller als gedac...
Dann wird man wieder wach und das Bein ist gewickelt. Straff. Sogar sehr straff. Und dann darf man gehen... Moment, bitte! Ein Plastikbeutel wird überreicht, darin drei Schmerztabletten, jeden Tag eine, um 14 Uhr und... drei Spritzen mit Heparin, jeden Tag eine, um 14 Uhr. Nee, oder?!
Die Klinik verlasse ich in einer Jogginghose, weil mein Bein in keine meiner richtigen Hosen mehr hineinpasst. „Bringen sie etwas Weites von sich mit“, hatten sie gesagt. Als hätte ich etwas Weites! Mit Jogginghose auf dem Ku’damm, humpelnd, obendrauf das durchschwitzte, verzerrte Shirt und eine Sonnenbrille im bewölkten, noch immer morgendlichen Berlin.. Wenn man schon die Kontrolle über sein Leben verliert, dann zumindest mit einem Hauch von Stil.
Es ist 14 Uhr. Also Spritze gezückt, das Bauchfett gefaltet, das im Grunde nicht vorhandene, nur mal so angemerkt, desinfiziert, ausgeholt und... Nein, Dominik soll das lieber machen, aber vorher noch einmal desinfizieren. Er setzt an... Halt! Ich mache das doch besser selbst. Es wird 14.10 Uhr. Ich desinfiziere, falte, und desinfiziere lieber noch einmal... Nein, Dominik muss das doch machen. Desinfizierung, Konzentration, Schwung holen, Abbruch. 14.30 Uhr. Tränen der Verzweiflung und der Scham steigen in die Augen. Wenn keine Spritze, dann auch keine Schmerztablette, da bin ich rigoros... Okay, okay, jetzt desinfiziert Dominik, der dafür vorhergesehene Lappen, inzwischen furztrocken... Nein, nein, Dominik muss den Raum... er muss den Raum verlassen, ich muss das selbst machen, sitzend... liegend... sitzend... besser stehend, einatmend beim Einstich. Ein Plan, ich desinfiziere, ich atme ein, ich steche nicht. Der Arm senkt sich nicht ab. Es ist bereits 14.40 Uhr. Da! Eine Kurzschlußhandlung. Ich hole aus und steche zu... weder geatmet, noch desinfiziert !
Heute wurde der Verband abgenommen und ich muss nur noch den Stützstrumpf tragen. Ein erster Blick auf das Bein, weiß Gott, ein Fehler, offenbart die unschöne Wahrheit in grün und blau: Sechs Schnitte. Einer am Knöchel, einer in der Leiste, drei auf der Wade, einer unterhalb davon.
Duschen darf ich erst morgen. Sich am Waschbecken zu waschen, wenn man das überhaupt so nennen kann, ist irgendwie retro. Ich trage noch immer die Jogginghose, aber zumindest ein frisches T-Shirt und eine blickdichte Unterhose.
Die Ärztin hat mich gefragt, wer mir denn die Spritze gegeben hätte?
„Na, ich selbst !“
Das wäre ziemlich beeindruckend, denn das könnten nicht so viele Leute auf Anhieb.
„Ich weiß, bin halt eine knallharte Type.“
... zumindest immer bis 13.59 Uhr.

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