Montag, 23. Mai 2016
Der fünfte Mann
Eine Studie hat ergeben... oder eine Statistik besagt... letztendlich auch völlig egal, denn in beiden Fällen geht der Satz mit „dass“ weiter, dass jeder fünfte Mann unter Krampfadern, sogenannten Varizen, leidet.
Ich bin also ein fünfter Mann.
Der Erste bekommt meistens einen Pokal, der Zweite die abgegriffene Frau mit Kind aus erster Ehe, der Dritte eine eingängige gezitterte Melodie, der Vierte ist undankbar und der Fünfte? Der Fünfte also Krampfadern.
Und nun wird gestrippt. Ein schwungvoll, erotischer Ausdruckstanz, bei dem sämtliche Hüllen fallen, muss herhalten, für einen barbarisch anmutenden Eingriff, der nun auch bei mir durchgeführt werden wird, werden muss.
Morgen früh. Hergottsfrüh. Früh genug, dass ich mir mit dem rollenden Berufsverkehr den U-Bahn Waggon teilen muss, stehend, damit das Blut auch ja in die ohnehin defekten Leitungen absacken kann, die bevorstehende Sauerei eine noch größere wird.
Meine Ärztin, der ich vor vier Wochen erstmals mit bis zu den Knöcheln heruntergelassener Hose begegnen durfte, eine bizarre Situation, die nun wirklich nicht häufig in meinem bisherigen Leben vorkam, also mit Frauen, hat die Empathie eines gammelnden Fischbrötchens... Es sähe schlimm aus, selten würde man junge Männer mit so muskulösen Beinen, also Männer generell ja kaum, und dann noch in dem Alter, wie alt eigentlich genau, echt schon extrem, da müsse schnellstens was gemacht, ach, so jung dann auch gar nicht mehr...
Aber fachlich, angeblich, sehr kompetent. Also, die Ärztin.
Heute Morgen war der Vorbereitungstermin.
Ich musste mir natürlich das Bein rasieren, das linke, und die halbe Scham. Also bitte, wer rasiert sich denn nur den halben Schambereich? Als würde man den ausgerollten Gartenschlauch auf der nur halbgemähten Wiese liegen lassen. Was sollen denn da die Nachbarn denken?
Sie war von der seidenweichen Glätte meiner Wade unleugbar beeindruckt. Nicht ein Härchen, damit hätten Männer immer Probleme, weil sie in der Kunst der Beinrasur doch eher ungeübt seien. Nach zwei Produktionen von „La Cage“, einer zwölfjährigen „Cabaret“-Routine und der Körperbehaarung einer vom aussterben bedrohten Primatenrasse, bleibt nur eines zu sagen: Lachhaft!
Nach nur wenigen Augenblicken und einigen kunstvoll ausgeführten Schwüngen mit dem Edding 800, glich mein Bein der Berliner Straßenkarte... in blau. Wild eingezeichnete Striche, Punkte und Linien, ein Kreuz soll den Ort in der Leiste markieren, an dem die „Vena saphena magna“ dann herausgezogen werden soll, nachdem sie am Fußknöchel gekappt worden ist.
Klingt brutal und irgendwie blutig.... es ist brutal und irgendwie blutig.
Das Kreuz ist allerdings nicht mal in der Nähe meiner Leiste, vielmehr fast mittig meines Oberschenkels... aber sie wird schon wissen, was sie da tut.
Ist ja kompetent... sagt man... angeblich.... also, die Ärztin.
Auf meine Bitte hin, den Schnitt doch möglichst klein zu halten, da meine Leiste mehr Menschen zu Gesicht bekämen, als sie es sich vermutlich vorstellen könne, reagierte sie mit nervösen Mundwinkelzuckungen. Offen ausgestellte Frivolität steht zweifelsohne nicht im Lehrplan der medizinischen Fakultäten Deutschlands. Schade eigentlich.
Interessanterweise jedoch sagt mir jeder Mann, dem ich von diesem Eingriff erzähle - und es waren bereits unfassbar viele, die es sich anhören mussten, gewollt oder auch nicht - dass er selbst auch Probleme mit Krampfadern hätte.
Demnach scheint die Statistik doch nicht wirklich repräsentativ zu sein und es gibt mehr fünfte Männer als man zunächst glauben mag.
Und wenn ich morgen aus der Vollnarkose erwache, ohne die mein bisheriges Leben lang mich begleitende Vene, hoffe ich, dass ich zumindest in Zukunft das Bein höher schmeißen kann und sich die drei Wochen in neckischen Thrombosestrümpfen lohnen werden... Denn wie Herr Spielberg schon in den 80ern zu berichten wusste: Nr.5 lebt !

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